News vom: 01.11.2006, 17:54 Uhr
Das Landgericht Kiel hat eine Entscheidung einer Vorinstanz bestätigt, wonach
die Unabhängigkeit externer Sachverständiger beispielsweise im Rahmen von
Durchsuchungen aufgrund von Urheberrechtsverstößen zu gewährleisten ist. Konkret
ging es um einen Fall, in dem die Polizei einem Experten der Gesellschaft zur
Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) freie Hand bei der
Inspektion, Beschlagnahme und Auswertung eines PC im
Zusammenhang mit vermuteten Verstößen gegen Urheber- und Verwerterrechte in
Tauschbörsen gelassen hatte. Bei einer derart weitreichenden "Privatisierung des
Ermittlungsverfahrens", müsse sich dem Bürger geradezu der Eindruck aufdrängen,
dass die Strafverfolgungsinstanzen gegen das Gebot der Unparteilichkeit
verstoßen hätten, heißt es in dem jetzt bekannt gewordenen Beschluss vom 14.
August (AZ 37 Qs 54/06). Ein solches Verfahren sei klar rechtswidrig. Polizei
und Staatsanwaltschaft dürften nicht nur noch formal in Erscheinung treten.
Gemeinsam mit den Gerichten erfülle die Staatsanwaltschaft aber die Aufgabe der
Justizgewährung, in deren Rahmen sie an das Legalitätsprinzip gebunden sei. Aus
dieser Stellung folge die Verpflichtung zu Unparteilichkeit, die auch für die
Polizei gelte. Personen, die selbst ein Interesse am Ausgang des Verfahrens
haben, dürften nur unter besonderen Umständen bei Ermittlungen
hinzugezogen werden, etwa, wenn es um Diebesgut gehe, das nur durch den
Geschädigten und nur vor Ort identifiziert werden könne.
Diesen Anforderungen genügt der Einbezug eines Mitarbeiters der GVU im
vorliegenden Verfahren aber nicht, stärken die Richter der Berufungsinstanz den
vorangegangenen Beschluss des Amtsgerichts Kiel. Laut Durchsuchungsprotokoll
habe der GVU-Gesandte den Rechner des Beschuldigten überprüft, Feststellungen
dazu getroffen, welche Programme zum Datentausch darauf installiert waren, deren
Funktionsweise erläutert und den Polizeibeamten geraten, dass "sich eine
Auswertung des PC lohnen würde". Das seien typische Tätigkeiten eines
Sachverständigen. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass der
Beschuldigte in einem derart frühen Ermittlungsstadium sich gegen die Auswahl
eines hinzugezogenen Experten gar nicht juristisch zur Wehr setzen könne,
verfange nicht. Es verbiete sich zu jeder Zeit, "sehenden Auges" eine nicht
neutrale Person zum Sachverständigen zu bestellen.
Dass ein Gesandter der GVU nicht die geforderte Neutralität mitbringe, ergebe
sich quasi naturgemäß aus der Zielsetzung der Organisation, betonen die
Richter. Dafür spreche schon der Umstand, dass es sich um eine Organisation der
Film-, Software-, und Entertainmentbranche und ihrer Verbände handelt, die sich
satzungsgemäß die Ermittlung und Verfolgung von Fällen der so genannten
Produktpiraterie zur Aufgabe gemacht habe. Darüber hinaus habe der hinzugezogene
"kostenfrei" tätig gewordene Mitarbeiter aber auch wesentliche Teile des
Ermittlungsverfahrens selbst übernommen.
Besonders befremdlich erscheint den Richtern dabei, dass die
sichergestellten Gegenstände nach Aktenlage ohne Rücksprache mit den
Strafverfolgungsbehörden an die GVU-Rechtsabteilung wanderten und diese in
Vollmacht "der Rechteinhaber" eine umfassende Strafanzeige einschließlich
rechtlicher Würdigung und Hinweisen an die Staatsanwaltschaft ausfertigte.
Erst mit diesem Schreiben seien die beschlagnahmten Geräte an die Behörden
zurückgegeben worden. Hier sieht das Landgericht auch einen Verstoß gegen die
StPO, der zufolge die Durchsicht der einkassierten Beweismittel allein durch
die Strafverfolgungsbehörden erfolgen und ein Sachverständiger nur notfalls
herangezogen werden dürfe. Eine Ausnahme habe aber nicht vorgelegen, da
wesentlich komplexere informationstechnologische Fragen als das Aufspüren von
Raubkopien auf einem PC oder von selbst gebrannten CDs von Mitarbeitern der
schleswig-holsteinischen Strafverfolgungsbehörden ohne Schwierigkeiten
regelmäßig bewältigt würden.
Staatsanwaltschaften und Polizeibeamte werden die häufig im Ermittlungsalltag an
den Tag gelegte enge Form der Zusammenarbeit mit der GVU aufgrund des
Beschlusses überdenken müssen. c't hat erst kürzlich über einen Fall berichtet,
bei dem blindes Vertrauen einer Staatsanwaltschaft gegenüber der GVU
schwerwiegende Folgen für eine Beschuldigte zeitigte. Bereits im Februar dieses
Jahres hatte die Zeitschrift außerdem in Zusammenarbeit mit dem News-Portal
Onlinekosten.de aufgedeckt, dass Privatfahnder der GVU in erheblichem Umfang die
Infrastruktur von Raubkopierern finanziell unterstützt und damit die Verbreitung
von Film- und Software-Kopien in mehreren Fällen befördert haben. Die
Strafverfolgungsbehörden wussten nach eigenen Angaben von dieser Praxis nichts.
Im Rahmen der "Operation Boxenstopp" geriet die GVU ferner selbst ins
Visier der Ermittler.
Überarbeitete Version des Heise Online Artikels vom 31.10.2006 13:26
http://www.heise.de/newsticker/meldung/80286
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