News vom: 03.08.2007, 16:12 Uhr
Das Amtsgericht Offenburg hat der dort ansässigen Staatsanwaltschaft wegen
"offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit" untersagt, eine Provider-Anfrage zur
Ermittlung der persönlichen Daten mittels der IP-Adresse eines mutmaßlichen
Tauschbörsennutzers zu stellen. Das Anbieten von wenigen
urheberrechtlich geschützten Musikstücken per Tauschbörsen-Client sei "der
Bagatellkriminalität zuzuordnen", erklärte das Gericht im entsprechenden
Beschluss vom 20. Juli 2007 (Az. 4 Gs 442/07). Dies könnte einen Rückschlag für
die deutsche Musikindustrie bedeuten, die im laufenden Jahr erklärtermaßen
verschärft mit Massenstrafanzeigen gegen widerrechtliche Tauschbörsennutzung
vorgeht.
Die Offenburger Staatsanwaltschaft war aktiv geworden, weil die
Rechtsanwaltskanzlei Rasch im Auftrag von Unternehmen aus der Musikindustrie ein
Bündel Strafanzeigen eingereicht hatte. Dort waren unter anderem IP-Adressen von
angeblichen Tauschbörsennutzern genannt, die von der zu Rasch gehörenden
proMedia GmbH ermittelt wurden. Über derartige Massen-Strafanzeigen möchte die
Kanzlei an die Namen von Musiktauschern kommen, um sie auf zivilrechtlichem Wege
abmahnen zu können.
Zunächst stellte das Gericht in seiner schriftlichen Begründung zum Beschluss
klar, dass es sich bei den zu ermittelnden Daten des Anschlussinhabers um so
genannte Verkehrsdaten handelt, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen.
Deshalb müsse die Ermittlungsmaßnahme gemäß Paragraf 100g der
Strafprozessordnung (StPO) richterlich angeordnet werden. Sodann
beschäftigte es sich mit der Frage, ob die Ermittlung des Anschlussinhabers
gemessen an der Schwere des Tatvorwurfs sowie dem Grad des Tatverdachts
verhältnismäßig ist. Dazu setzte es sich mit den Argumenten in der
Strafanzeige auseinander.
Diese laufen dem Gericht zufolge "aus Gründen der Logik" ins Leere. Die
Kanzlei Rasch hatte wie in anderen Fällen auch eine Fraunhofer-Studie ins Feld
geführt, nach der in den Jahren 2001 und 2002 jeweils über fünf Milliarden
Musikdateien verbreitet worden seien. Das Gericht bestritt diese Zahlen nicht,
erklärte aber, sie würden keinen "strafrechtlich relevanten Schaden" belegen. Im
Gegenteil habe die Kanzlei in ihrer Anzeige lediglich einen Download vom
Beschuldigten nachgewiesen, nämlich den von der proMedia zur Beweisführung
getätigten.
In der Begründung zweifelte das Gericht jene Argumentation an, die die
Musikindustrie stets anführt. Im vorliegenden Fall sei ein vom
Tauschbörsennutzer angebotenes Musikstück legal für weniger als einen Euro zu
haben gewesen. Dies sei aber keinesfalls mit dem entgangenen Umsatz
gleichzusetzen, denn es verhalte sich "hier wie überall, wo der Markt regiert:
Beim Preise 0 fragt auch derjenige ein Produkt nach, für das er sonst nicht mal
einen Cent ausgeben würde." Zur Bekräftigung führte auch das Gericht eine Studie
an: Die Universität Harvard ermittelte demnach im Jahre 2004, dass der
Schaden, der der Musikindustrie durch Tauschbörsen entsteht, gegen Null tendiere.
Auch den Vorwurf des Vorsatzes in der Strafanzeige zog das Amtsgericht in
Zweifel. Es sei in einer US-amerikanischen Studie von 2006 überzeugend
dargelegt, dass Clients zu fünf gängigen P2P-Netzwerken Programmkomponenten
aufweisen, "die einen Zwangsupload zur Folge haben, ohne dass der jeweilige
Nutzer, der im vorliegenden Fall als Täter anzusprechen wäre, dies erkennen
könne". Außer im Falle eines Geständnisses sei folglich "der Nachweis, er sei
nicht auf die teils verborgenen und schwer entdeckbaren
Redistributionsprogrammteile hereingefallen, kaum zu führen".
Schließlich ließ das Gericht auch die Vorgehensweise der Musikindustrie "in
die Abwägung einfließen". Die Strafanzeigen haben demnach "ersichtlich den
Zweck, den über die Ermittlungen festgestellten Anschlussinhaber später
zivilrechtlich als Störer auf Unterlassung, weit überwiegend aber auf Zahlung
hohen, meist unberechtigten Schadensersatzes in Anspruch zu nehmen". Ein eigener
Auskunftsanspruch gegen die Provider auf Offenlegung der Nutzerdaten stehe der
Musikindustrie eben nicht zu. In dem sie "den Strafverfolgungsbehörden mehrere
10.000 Strafanzeigen beschert", strebe sie folglich Auskünfte an, die ihr "der
Gesetzgeber bewusst versagt hat".
Der Beschluss dürfte bundesweit bei den Staatsanwaltschaften auf großes
Interesse stoßen. In Gesprächen mit Strafermittlern und Staatsanwälten erfuhr
heise online immer wieder, dass die Behörden unter der Last von
Massenstrafanzeigen der Rechteinhaber ächzen. "Da bleibt die Ermittlung schwerer
Straftaten auf der Strecke, weil wir uns mit diesen Bagatellgeschichten
herumschlagen müssen", beschwerte sich beispielsweise ein Staatsanwalt, der
nicht genannt werden will. Unter der Hand war zu erfahren, dass mehrere
Staatsanwälte versuchen werden, einen ähnlichen Beschluss ihres ortsansässigen
Amtsgericht zu erwirken. (hob/c't)
Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/93376
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